Mein heutiges Thema ist kein besonders neues. Dies ändert aber nichts an der Tatsache, dass es aktueller kaum sein könnte. Ich will mich heute ein weiteres Mal mit der Behandlung Tupacs Musik nach seinem Tod befassen. Als ich dies vor mehr als zwei Jahren das letzte Mal in ausführlicher Art und Weise tat, brachte mich vor allem das damals neu auf den Markt gekommene "Until The End of Time" dazu meine Gedanken niederzuschreiben. Da sich in zwei Jahren meine Sichtweise der Dinge spürbar geändert hat (man nehme nur die Lobpreisungen auf "UTEOT" hier und das spätere, wohl deutlich näher an der Realität angesiedelte Review zum Vergleich) und man die Situation meiner Meinung nach mittlerweile nicht mehr mit der vor zwei Jahren vergleichen kann, habe ich mich zu der sechsten "I Got My Mind Made Up" Ausgabe entschieden. Außerdem bringen mich dieses Mal schon die Ereignisse vor dem Album Release dazu, die Lage genauer zu analysieren und nicht damit ein falscher Eindruck entsteht sei noch mal gesagt: Ich will das "Loyal To The Game" Album keineswegs im Vorfeld verurteilen. Oder negativ ausgedrückt: Ich will dem sicherlich kommenden Review nicht vorgreifen.
Seit dem mit "Still I Rise" 1999 das erste 2Pac (+ Outlawz) Album erschien, das zu großen Teilen geremixt wurde, gab es primär in Internetforen Diskussionen über die veröffentlichte Version eines 2Pac Songs im Vergleich mit der Originalversion, die man auf den vielen Bootlegs, die Ende der 90er ihren Weg auf die Straßen und kurz danach ins Internet fanden, hören konnte. Was '97 mit "R U Still Down" komplett und '99 noch zum Teil akzeptiert wurde, sollte endgültig zwei Jahre später mit "Until The End of Time" zu großem Unmut in der 2Pac Fangemeinde führen. Wieder wurden viele Beats geremixt bzw. komplett ausgetauscht und wieder waren viele Fans der Meinung, dass die veröffentlichte Versionen bei weitem nicht mit den Originalen mithalten können und man die Songs 2Pacs zumindest teilzerstörte. Das anderthalb Jahre später erscheinende "Better Dayz" rief zum Großteil ähnlich Reaktionen hervor, wobei ich persönlich der Meinung bin, dass es musikalisch einem 2Pac Album bei weitem eher gerecht wird als sein Vorgängeralbum. Dennoch teilt sich "Better Dayz" mit "UTEOT" einen entscheidenden Kritikpunkt, den man gar nicht hoch genug bewerten kann: Es wurden Künstler in 2Pacs Songs hineingemixt, die nicht nur ursprünglich nicht für einen Auftritt vorgesehen waren, sondern auch oftmals Tupac gar nicht kannten. Dass man mit den Guest Appearances herumspielte begann mit dem "Still I Rise" Release als man Fatal komplett aus den Songs nahm und oftmals durch Young Noble ersetzte. Außerdem nahmen die Outlawz viele ihrer Strophen neu auf, was mir bis heute unverständlich ist. Dennoch kann man diese Art des Strophenaustauschs auf jeden Fall noch eher rechtfertigen als den, der mit "UTEOT" einsetze. Dort nahm man erstmals Tupacs Weggefährten und Freunde aus Songs und ersetzte sie mit Leute, die zum Teil zu Tupacs Zeit nicht mal aktuell waren, wie z.B. eine SKG, die weder Rappen konnte, noch auch nur im entferntesten einen Hauch einer Daseinsberechtigung auf "Let 'Em Have It" hatte und nach ihrem halben Jahr bei Death Row wieder dahin zurückkehrte, wo sie herkam: in die Versenkung. Unzählige weitere Beispiele folgten, wobei es manchmal musikalisch sehr gut funktionierte (Tyrese und Ron Isley auf "Better Dayz") und manchmal im Fiasko endete (50 Cent - "Realest Killaz") - immer jedoch bleibt die Frage: Ist es moralisch vertretbar Tupac diese Gastauftritte aufzuhalsen? Oder sollte man vielleicht nicht doch besser den sicheren Weg gehen und dort, wo Verbesserungen notwendig sind, sprich ein Song nicht fertig gestellt ist und weitere Strophen oder ein Chorus benötigt wird, nicht lieber den sicheren Weg wählen und Leute verpflichten, mit denen Tupac zu Lebzeiten zusammen arbeitete? Wie sehr kann es schaden Danny Boy, Nate Dogg oder Val Young statt Tyrese, Jazze Pha oder den zugegebenermaßen großen Ron Isley einen Chorus singen zu lassen? Wären Originalstrophen von Kurupt und Fatal oder neu aufgenommene Verses von Leuten wie E-40, Richie Rich, Yukmouth, Shock-G, Buckshot, Smiff N Wessun oder den Thug Life Mitgliedern nicht vielleicht doch besser als Trick Daddy, G-Unit und T.I.? Und nicht zuletzt sind Leute wie die Trackmasterz, Red Spyda und Eminem wirklich besser dafür geeignet 2Pacs Songs zu remixen als z.B. Hurt-M-Badd, DJ Quik, QD3 oder Shock-G?
All diese Fragen muss sicherlich jeder für sich selbst beantworten, aber ich habe oft das Gefühl, dass sich die Verantwortlichen überhaupt nicht der Verantwortung bewusst sind, die sie mit ihren Entscheidungen zu tragen haben. Tupac hat zu Lebzeiten gerade vier Soloalben und ein Gruppenalbum veröffentlicht. Seit seinem Tod kamen drei Soloalben, ein Soundtrack, eine Greatest Hits Compilation, ein Gruppenalbum und ein Spoken Word Album hinzu. Der Großteil Tupacs Discographie besteht also aus Alben, die nach seinem Tod veröffentlicht und dazu noch entscheidend verändert bzw. überhaupt erst zu Alben zusammen gestellt wurden. Wer vermag da noch wirklich 2Pacs Werke zu bewerten, wenn sie zum Teil so verändert werden, dass selbst langjährige Fans 2Pac darin kaum wieder erkennen?
Gerade in diesem Punkt stehen wir vor einem neuen, negativen, Höhepunkt. Um konkret auf das aktuelle Geschehen zu kommen: Ich glaube nicht, dass es einem Eminem gegenüber fair ist, ihn mit einem Projekt wie "Loyal To The Game" zu beauftragen. Als Künstler, der zwar immer noch dabei ist mehr oder weniger alle Rap-Verkaufsrekorde zu brechen, aber sich dennoch lauterer Kritik als jemals zuvor erwehren muss, sollte er eigentlich genug mit seiner eigenen Karriere zu tun haben. Dazu kommt noch, dass er als Producer keine allzu großen Erfahrungen hat und womöglich mit der Aufgabe ein komplettes Album zu produzieren überfordert ist. Wie kann Eminem, der zu dem Zeitpunkt, an dem die "Loyal To The Game" Aufnahmen angefertigt wurden nicht mehr als einer von Millionen Rap Fans war und erst in den letzten Jahren seine Entwicklung als Producer spürbar vorantrieb, der Aufgabe gerecht werden ein Album zu produzieren, das sich so anhören soll als wenn es vor zehn Jahren aufgenommen wurde und gleichzeitig zeitlos ist? Richtig, gar nicht. Und genau da liegt der Punkt. Das Album soll sich gar nicht anhören, als wäre es um 1994 herum entstanden. Es soll hip und aktuell sein, den heutigen Standards entsprechen und die heute erfolgreichsten Musiker featuren. Mit anderen Worten: Es soll sich so gut wie möglich verkaufen. Auch wenn das in den Ohren vieler selbsternannten "Truen" wie ein Offenbarungseid klingt, so ist es dennoch verständlich und legitim. Nicht legitim ist jedoch, dass man für die Verkaufszahlen scheinbar wirklich alle Prinzipien über Board wirft und das Album ausschließlich auf kommerziellen Erfolg auslegt. Ich kann es mir kaum vorstellen, wie ein 2Pac Fan, der Tupacs Karriere von Beginn an mitverfolgte und/oder mit 2Pacs Musik aufwuchs, sich heute für Eminem, 50 Cent und Konsorten und ihre Art der Musik interessieren soll. Man tauscht ganz einfach die Fanbasen aus und die, die mehr Dollar einbringt ist natürlich immer die gern gesehenere. Dies verrät so ziemlich alles, für das Tupac stand und macht aus seiner Musik, an die er selbst immer den Anspruch hatte Leute zu mobilisieren und aufzuwecken, wirklich nichts außer einer Gelddruckmaschine ohne Tiefgang und ohne emotionalen Wert. Das geht weit über das Beatremixen hinaus und muss der Kritikpunkt sein, dem sich Amaru stellen muss. Ich frage mich, wie man sich damit brüsten kann Tupacs Erbe der Nachwelt zu erhalten und seine Botschaft weiter in die Welt zu tragen und dann derart handeln kann. Allein die Tatsache, dass man es in den letzten acht Jahren nicht schaffte ein Projekt zu veröffentlichen, das Tupac sehr am Herzen lag - One Nation - und man auch heute noch keine konkreten Bemühung unternimmt das Album auf den Markt zu bringen zeigt doch, dass man es nicht allzu ernst meinen kann mit dem "Erbe Tupacs weiterführen". Sicherlich muss man auch in Betracht ziehen, dass das verdiente Geld, was tatsächlich in die Hände Amarus gelangt, gut und sinnvoll investiert wird in verschiedene Charity Projekte oder den Bau des Tupac Amaru Shakur Center for the Arts, aber man muss sich auch definitiv fragen, ob der Preis, den 2Pacs Musik dafür zahlen muss, nicht zu hoch ist. Ich jedenfalls halte die aktuellen Entwicklungen für unverantwortlich und vertröste mich derweil auf die Illusion eines Tages eventuell ein Box Set mit allen unveröffentlichten 2Pac Originalversionen in den Händen zu halten. Den goldenen Mittelweg zwischen Original beibehalten und verantwortungsbewusst und gut Remixen, wie es noch bei "R U Still Down" der Fall war, hat man leider verpasst. Endgültig.
- Thaq
November 2004